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Bereits der kryptische Titel – gebildet aus der Wurzel der Minuten, in denen die Bilder entstanden sind – stellt einen Bezug zu John Cage her. In seinem abstrakten Spiel mit Zufällen erkannte ich Parallelen zu meiner eigenen Arbeitsweise.
weiterlesenDabei geht es
in meinen Bildern – die zur Musik von Zbigniew Preisner, Ryūichi Sakamoto, Heinz Sauer & Michael Wollny, Peter Hammill und anderen entstandenen sind – nicht um Gefälligkeit oder Wohlklang. Vielmehr vermittelt die Musik den Bezug zu Personen, Gedanken und Situationen, zum Unbewußten, zur Abstraktion von Emotion. So wird ein kreativer, beinahe meditativer Zustand möglich, der ein unmittelbareres Handeln erlaubt, dem kein bewusster Planungsprozess vorausgegangen sein muss.
Neben der bildenden Kunst gab es schon immer eine gewisse Affinität zur Musik. Da ich sehr bewusst Musik höre, beeinflusst dies ohnehin meine künstlerische Arbeit.
Bei diesem Ausstellungsprojekt ist jedes Bild, jede Bildserie nur einem Musiker oder Interpreten zugeordnet. Die jeweiligen Stücke habe ich teilweise bis zu sieben Stunden am Stück gehört, mitunter bis an den Rand des Erträglichen. Dabei habe ich Musik gewählt, die mich nachhaltig stark beeinflusst, die mich zu einem anderen Denken und Handeln geführt oder mich einfach emotional stark berührt hat.
Das wiederholte Hören der Musik verändert den Bewusstseinszustand, vielleicht vergleichbar mit einer tiefen Meditation, einem Mantra oder auch dem Blick in eine innere Welt. Es hilft, mit dem Körper zu denken und seinen Geist zurückzubringen in den Moment, den Augenblick in dem Körper und Geist zusammenfinden – ohne abstrakte Vorstellungen darüber, wie etwas sein könnte oder sein wird – in Einheit mit all dem, was gerade jetzt passiert. Vielleicht ist es ein Zustand, der es möglich machen kann, den Bildern eine narrative Kraft zu verleihen, ein Geheimnis, von dem sie uns erzählen, woran sie uns erinnern, durch Formen, dem Spiel mit Materialien und ihrem Charakter. Es ist die Idee der Verschmelzung der Sinneseindrücke, so dass eine Sinneswahrnehmung scheinbar nicht mehr an ein Sinnesorgan gebunden ist – die Augen scheinen zu hören, die Ohren zu sehen.
Das Bild erklärt nicht die Musik, sondern hilft nur, sie zu entdecken, gewissermaßen als Träger der musikalischen Energie. Es ist der Versuch, zu erreichen, dass die gesamte Emotionalität der Musik in einem Bild zum Ausdruck kommt.
Die Auswahl der Musikstücke ist zweifellos von eher melancholisch wehmütigem Charakter. Man könnte glauben, hier fehlen Lebensfreude oder Optimismus, aber es ist am Ende sehr inspirierend und aufbauend in meinen Bildern und im Hören von Musik in die Tiefen der unergründlichen Seele hinabzusteigen.
Annette Schulze-Weiß, 2. Februar 2014
jóga
Björk
Homogenic (1997)
„Björk beherrscht wie nur wenige heutige Musiker das subtile Spiel zwischen Entspannung und Klimax, vom leisen Flüstern zum gewaltsamen Umschlagen der Stimme — die in vollkomener Natürlichkeit daherkommende, organisch und gleichzeitig artifiziell perfektionistische Performance überzeugt zu jedem Zeitpunkt. Phrasierungen, Wiederholungen, das Spiel mit Atem und Betonung sind derart individuell und gleichzeitig universell, dass man sich (...) bald darüber im klaren ist, hier eins der wohl größten musikalischen Talente der heutigen Zeit vor sich zu haben.“ (Kundenkritik auf amazon.de)
out of noise I-V
Ryūichi Sakamoto
Playing the Piano / Out of Noise (2010)
Ryūichi Sakamoto ist ein japanischer Komponist, Pianist, Produzent und Schauspieler.
„Außer seinen musikalischen Ambitionen ist Sakamoto im Klimaschutz tätig und Initiator des Projekts Stop-Rokkasho, einer Kampagne gegen Atomstrom.
Als prägende Einflüsse nannte er einmal so unterschiedliche Künstler wie die Beatles, Beethoven oder John Cage. Aber auch der Avantgardefilm übte eine ständige Faszination auf Sakamoto aus, was sich in seinen zahlreichen
Filmmusiken eindrücklich manifestiert.“ (laut.de)
officium
Jan Garbarek with the Hilliard Ensemble
Officium (1994)
Die 1994 entstandene Officium ist eine Sammlung von 15 Gesängen aus dem 13. bis 16. Jahrhundert. Was die Stücke auf der CD verbindet, ist der sakrale Raum, der sich im Zusammenhang der vier Stimmen mit der fünften, dem Saxophon Jan Garbareks, öffnet. Saxophon und Stimmen verschmelzen, die Grenzen zwischen Altem und Neuem, Heiligem und Profanem, zwischen hell und dunkel werden von einer dynamischen und filigranenen Welle hinweggefegt.
Gerne lasse ich mich von den Stimmen mitnehmen und folge den Linien des Saxophons in eine Vielfältigkeit.
don't explain I-IV, space cake
Michael Wollny & Heinz Sauer
Don‘t Explain (2012)
„Heinz Sauer ist einer der ganz großen deutschen Jazzmusiker, ein radikaler Individualist, der auf seinem Instrument einen völlig eigenen Stil geprägt hat. Sein einzigartiger Ton ist rau und zärtlich, voll gelebter Erfahrung.” (NDR)
„Offen für den Raum, für das Publikum, für die Atmosphäre, die Schwingungen, die während des Konzerts unsere Sinne erreichen.“ (Heinz Sauer)
„Wollny bringt alles mit, was man von einem perfekten Jazzpianisten, oder überhaupt von einem Klavierspieler verlangen kann: virtuose Technik und überschäumende Fantasie, Disziplin und Fähigkeit zum kreativen Chaos, Sinnlichkeit und ästhetisches Gespür.” (F.A.Z.)
over
Peter Hammill
Over (1977)
coherence
Peter Hammill
Incoherence (2004)
undone
Peter Hammill
Thin Air (2009)
Die Musik Peter Hammills ist ein zutiefst menschlicher, emotional absolut nachvollziehbarer Wahnsinn, genährt von Verzweiflung, Wut, Hilflosigkeit, Pessimismus und dem Unwillen, sich mit den gegebenen Zuständen abzufinden.
„Peter Hammill bewies in seiner mittlerweile fast 40-jährigen Künstlerkarriere profunde Kenntnisse zeitgenössischer Entwicklungen auf verschiedenen Gebieten der Wissenschaft, insbesondere der Neuro-Biologie, der Psychologie und der Philosophie. Er ließ sich ebenso von der Gaia-Theorie („Gaia“ auf „Fireships“, 1992) inspirieren wie vom Zen-Buddhismus („A Better Time“ auf „X my Heart“, 1996).“ (Wikipedia)
Ich höre diese Musik immer wieder seit fast 35 Jahren.
silence, night and dreams I
Zbigniew Preisner
Silence, Night and Dreams (2007)
„Preisner ist ein polnischer Komponist. International bekannt wurde er durch seine Filmmusiken, vor allem seine Arbeiten für den Regisseur Krzysztof Kieślowski.“ (Wikipedia)
Kennengelernt habe ich die Musik durch verschiedene Filme.
Die CD Silence, Night and Dreams, auf der die Sängerin Teresa Salgueiro („So kristallklar, kraftvoll und ausdrucksstark hat noch keine Sängerin diese melancholische Musik interpretiert“ allblues) singt, hat mich vom ersten Moment tief berührt.
gnossienne I
Eric Satie, interpretiert von Katia & Marielle Labèque
Eric Satie (2009)
Seine Klaviermusik wurde angeregt durch sein Studium mittelalterlicher französischer Baukunst und wirkt wie aus kleinen Bausteinen zusammengesetzt, die sich zu Klanglinien formen.
Igor Strawinsky nannte ihn „einen weisen alten Spaßvogel, voll echtem und intelligentem
Unfug“. Es dauerte, bis man ihn als einen Neuerer in der Musik anerkannte. (Ferry Ahrlé)
in a landscape I & II, suite for toy piano
John Cage, interpretiert von Stephen Drury
In a Landscape (1994)
John Cage ist vor allem durch sein Stück 4'33" (4 Minuten 33 Sekunden) bekannt. Die Komposition gliedert sich in drei Sätze ohne Noten. Der Pianist spielt während der gesamten Spieldauer des Stückes keinen einzigen Ton doch der Raum wird von verschiedenen Geräuschen gefüllt -von den draußen vorbeifahrenden Autos bis zum Geräusch des Regens.
Überrascht stellte John Cage auf der Suche nach neuen Hörerfahrungen in einem schalldichten Raum in Cambridge fest, dass er rhythmische Geräusche vernahm. Der zuständige Techniker erklärte ihm später, dass er verschiedene Abläufe in seinem Körper wahrgenommen hatte. ”Ich hörte, dass Schweigen, dass Stille nicht die Abwesenheit von Geräuschen war, sondern das absichtslose Funktionieren meines Nervensystems und meines Blutkreislaufes. Ich entdeckte, dass die Stille nicht akustisch ist. Es ist eine Bewusstseinsveränderung, eine Wandlung. Dem habe ich meine Musik gewidmet. Meine Arbeit wurde zu einer Erkundung des Absichtslosen.”
Für die Komposition von Stücken ohne beabsichtigte Höhepunkte, Reihenfolgen und Wiederholungen nutzte Cage verschiedene Zufallsoperationen, darunter insbesondere das chinesische Orakel I-Ging, dessen zumeist durch Münzwürfe hervorgerufene Ergebnisse in vorbereitete Notentabellen übertragen wurden.
Das auf diese Weise 1951 entstandene Klavierstück ”Music of Changes” gilt inzwischen als Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts. Ebenfalls im Sinne der Absichtslosigkeit setzte Cage bei der Aufführung von ”Imaginary Landscapes No. 4” zwölf Radioapparate ein, die ohne vorherige Kenntnis des Programms eingeschaltet wurden. ”Imaginary Landscapes No. 5” basierte auf der Verwendung von zweiundvierzig beliebig ausgewählten Schallplatten, die jeweils phasenweise überlagert abgespielt wurden, wobei Cage auch in diesem Fall die entsprechenden Zeitverläufe durch Zufallsoperationen ermittelte. Für die Komposition ”Atlas Eclipticalis” nutzte Cage die Konstellation von Sternen auf entsprechenden Karten zur Komposition.
Robert Rauschenberg inspirierte Cage mit seinen schwarzen oder weißen Bildflächen zu dem berühmten Werk 4`33: Ein Musiker sitzt vier Minuten und 33 Sekunden tatenlos am Klavier und präsentiert die Stille - die es nicht gibt. Immer ruckelt jemand auf dem Stuhl oder atmet geräuschvoll.
staub
Bohren & der Club of Gore
Dolores (2008)
„Die überwiegend instrumentalen Stücke sind geprägt durch abwechslungsarme, minimalistische Langsamkeit und meditative, sphärische Stimmungen. Auf ihrer Website beschreibt die Band ihren Stil als doom ridden jazz music.“ (Wikipedia)
Das Merkmal der Langsamkeit durchzieht auch ihre weiteren Veröffentlichungen bis zum 2005 veröffentlichten Geisterfaust, wobei auch die Instrumentierung immer sparsamer eingesetzt wird (so taucht das z.B. ehemals so charakteristische
Saxophon erst im letzen Lied des Albums auf). Mit jedem neuen Album geht die Band dabei immer noch weiter als bei dem vorherigen. Das Tempo der Lieder wurde von etwa 34 bpm auf 22 bpm bei Daumen (Geisterfaust) gesenkt. Bis schließlich so gut wie keine Melodien mehr zu finden sind. „Das neue Album ist noch ereignungsloser als die vorigen, und die waren schon sehr ereignisarm.“ (Christoph Clöser)
heim I
Sigur Rós
Hvarf-Heim (2007)
„Mit ihrer sphärischen klingenden, teilweise von melancholischen Melodien geprägten Musik haben Sigur Rós seit über einem Jahrzehnt vor allem in Europa, aber auch in Nordamerika und in Japan beachtliche Erfolge erzielen können. Stilistisch sind sie am ehesten den weit interpretierbaren Bereichen Postrock, Shoegazing oder Ambient zuzuordnen. Sie selbst bezeichnen ihren Musikstil als Slo-Mo Rock (Slow-Motion Rock).“ (Wikipedia)
Fotos: Annette Schulze-Weiß, David Schulze