Beschreibung meiner Arbeitsweise
Seit Beginn meiner künstlerischen Arbeit experimentiere ich mit verschiedenen Materialien wie Sand, Erde, Gips, Zement und Steinmehlen. So entstehen – in Verbindung mit Farbe – reliefartige Flächen, mit einer konkret sicht- und tastbaren Räumlichkeit, die die Zweidimensionalität des Bildes erweitern.
Anfangs weitgehend eine Auseinandersetzung mit Material und Technik, entstehen meine ersten Arbeiten sehr spontan, wobei ich auch Prozesse der Zerstörung wie Überdecken, Zerkratzen oder den Einsatz von Lacken nicht scheue – ein Spiel mit dem Zufall. Dies ergibt die Möglichkeit des Neuen, einer veränderten Richtung im Bild. Es ist eine sehr intuitive Herangehensweise. Man weiß nie genau, wie eine begonnene Arbeit endet. Irgendwo ist da immer ein Überraschungsmoment.



Meine Bilder werden im Laufe der Zeit reduzierter und differenzierter. Ausgangspunkt der Arbeit sind Gedanken, Stimmungen und Assoziationen, die ungeordnet, mit verschiedenen Materialien, in mehreren Schichten auf die Leinwand oder das Papier gebracht werden. Wie eine Skizze, eine Notiz – Elemente eines größeren Ganzen produzierend, nicht wissend, was dieses Ganze am Ende ist. Danach erfolgt ein Herunterwaschen der noch nicht wirklich festen Elemente. Es bleiben Spuren. In mehreren lasierenden Schichten werden diese Spuren in eine Gestik des Malerischen gebracht. Im Anschluss daran erfolgt oftmals die Bearbeitung mit abdeckender Farbe, um so einen formgebenden Bildraum zu erzeugen. In einem Chaos von durchdringenden Linien und Flächen bilden sich Fragmente scheinbarer Räume, Körper, Welten heraus.



Wenn man sich meine jüngeren Werke ansieht, wird meine Vorliebe für eine eher zurückhaltende Farbigkeit ersichtlich. Die Emotionalität der Farbe ist nicht, was mich interessiert. Auch die Materialien werden nun reduzierter und konzentrierter eingesetzt. Oft geht es um ein Ausloten zwischen Spontanität und Ordnung.
Aggressive und eher kontemplativ zurückhaltende Arbeitsweisen ergänzen sich. Die Farbpalette beschränkt sich in der Regel auf schmutzige Weiß-, Grau-, Blaugrün- und Beigetöne, die eine Ästhetik des Gebrauchten provozieren. Häufig entsteht die Tönung der Farbe durch optische Mischung als Resultat wiederholter Übermalung. Die Farbe wird geschichtet, wird zur Materie, zur Substanz, zum Nährboden. Schwarze Spuren, Linien und klar umrissene Formen setzen Zeichen, als würde nach langer Spurensuche nun endlich eine Entscheidung getroffen. Diese Zeichen werden zum bildbestimmenden Element.
Die Ideen für meine künstlerische Arbeit erhalte ich durch das Erüben einer anderen Form des Sehens. Ein Sehen, eine Bewegung weg von der oft einseitigen Form der Wahrnehmung und der allgemeingültigen Auffassung etwa über Schönheit. Es ist eine Art Entgrenzung des Blicks - die Verhärtung des Sehens zu lockern, um sich mit dem Gesehenen schließlich durch innere Kommunikation zu verbinden.



Wichtig sind Zeiten des Rückzugs, der Sammlung, der Erneuerung, um Orte aufzuspüren, an denen man wachsen und Erfahrungen sammeln kann. Habe ich so einen Ort gefunden, setzt ein Prozess der Auseinandersetzung und des Zusammenkommens mit diesem Ort ein - die Identifikation mit dem Gesehenen. Wir kennen dies aus zwischenmenschlichen Beziehungen: sich in einen Anderen hineinversetzen - ihn verstehen lernen. Versetze ich mich nun in einen Ort oder auch eine Situation, kann ich Eindrücke erspüren und diese gedanklich in eine Reihenfolge bringen, sodass künstlerisches Handeln daraus entsteht.
Das geistige Auge ist stets auf das Über- Neben- und Miteinander der Materialien, Linien, Farben und Schichten konzentriert. Das Sehen, in den Körper, in die Hände, in die Bewegung gelegt. Auf der Suche nach innerer Wahrheit ist die Arbeit im Bild immer gekennzeichnet durch einen Dialog zwischen Fläche und Moment, zwischen Spur und Form. Eine Suche, die aus der Unfähigkeit entsteht, den Augenblick so zu bewahren, wie er gerade ist, um ihn gegen eine sich stets verändernde Erinnerung einzutauschen. So erscheinen die Bilder oft ebenso offen wie unaufgelöst. Der Moment des Erkennens: Skizze – Spur – Material – Geste – Dialog – Sehen haben zueinander gefunden, sind zu einem Ganzen verschmolzen – Stille.
Es ist eine Energie, eine Konzentration und der poetische Ausdruck in der Kunst, die mich stark berühren.
Annette Schulze-Weiß
Gelsenkirchen, November 2013